DER NEUE HEIMATFILM #33
In fünf Wochen beginnt am 26. August die 33. Ausgabe des Festivals DER NEUE HEIMATFILM im Kino Freistadt. Mit 48 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen nähert sich das Festival dem Begriff „Heimat“ aus unterschiedlichsten Perspektiven.
Besonders stark sind in diesem Jahr Produktionen aus Österreich vertreten. In Kooperationen mit der Diagonale - Festival des österreichischen Films sowie dem Crossing Europe Filmfestival Linz, werden Filme in Freistadt präsentiert, die aufgrund der Absage der Festivals im Frühjahr in Österreich noch nicht im Kino zu sehen waren.
Zwei Filme eröffnen das Festival am 26. August: Der mit dem Publikumspreis beim Max-Ophüls-Preis ausgezeichnete österreichische Spielfilm EIN BISSCHEN BLEIBEN WIR NOCH von Arash T. Riahi erzählt die Geschichte zweier tschetschenischer Flüchtlingskinder in Österreich aus deren Perspektive. Der Dokumentarfilm WALCHENSEE FOREVER von Janna Ji Wonders, ausgezeichnet u.a. bei der Berlinale, bringt mit autobiografischem Ansatz eine Familiengeschichte über fünf Generationen von Frauen auf die Leinwand.
Eine Werkschau widmet das Festival dieses Jahr dem jungen italienischen Regisseur Claudio Giovannesi mit drei seiner bisherigen Werke. Giovannesi feierte zuletzt Erfolge mit der Milieustudie PARANZA DEI BAMBINI (PARANZA – DER CLAN DER KINDER), ausgezeichnet mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch bei der Berlinale 2019.
Zum ersten Mal in seiner über 30-jährigen Geschichte wird das Festival DER NEUE HEIMATFILM auch mit einem Festivaltrailer angekündigt, für den der renommierte, aus Oberösterreich stammende Experimentalfilmer Siegfried A. Fruhauf gewonnen werden konnte. Im Trailer verarbeitet Fruhauf 16mm-Filmaufnahmen von der Sprengung der Hochhäuser am Harter Plateau in Leonding im Jahr 2003.
Der Trailer wird in den Festivalkinos und ab 24. 7. online zu sehen sein.
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Am 26. August wird das Festival DER NEUE HEIMATFILM traditionsgemäß mit zwei Filmen eröffnet.
EIN BISSCHEN BLEIBEN WIR NOCH
AT 2020, 115 min,
Regie: Arash T. Riahi
Poetisch und aus der Perspektive seiner jungen Protagonist*innen erzählt Regisseur Arash T. Riahi die Geschichte zweier tschetschenischer Flüchtlingskinder, die getrennt werden als ihre Mutter einen Selbstmordversuch unternimmt weil der Familie die Abschiebung droht. Die Geschwister sind nun auf sich allein gestellt. Im Film trifft die pessimistischere Wahrnehmung der Situation und ihrer Umgebung der etwas älteren Lilli (14) auf die beinahe magisch anmutende Welt ihres achtjährigen Bruders Oskar. Ohne zu beschönigen, aber doch auch mit Humor wird das Schicksal einer Familie ohne dauerhaftes Bleiberecht in Österreich thematisiert.
Der Film, dessen Drehbuch auf dem Roman "Oskar und Lilli" von Monika Helfer basiert, feierte beim Max-Ophüls-Preis 2020 seine Weltpremiere wo er auch mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde.
WALCHENSEE FOREVER
DE 2020, 110 min, Österreichpremiere
Regie: Janna Ji Wonders
In WALCHENSEE FOREVER erzählt Janna Ji Wonders auf eindrucksvolle Weise die Geschichte ihrer Familie und spannt dabei den Bogen über vier Generationen starker Frauen, von denen jede auf ihre Weise den patriarchalen Strukturen ihrer Zeit trotzt. Als Ausgangspunkt und stiller Chronist dient der bayrische Walchensee. Der Debütfilm der Regisseurin wurde bei der Berlinale 2020 uraufgeführt und erhielt im Januar 2020 den Bayrischen Filmpreis in der Kategorie Bester Dokumentarfilm.
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2020 widmet das Festival DER NEUE HEIMATFILM dem jungen italienischen Regisseur Claudio Giovannesi eine Werkschau mit drei seiner bisherigen herausragenden Spielfilme.
Auf der Suche nach einem Platz in der Gesellschaft
1978 in Rom geboren, ist Claudio Giovannesi einer der interessantesten Abgänger dieser Generation vom legendären Centro Sperimentale di Cinematografia.
Über die Jahre hat er sich einen individuellen filmischen Stil angeeignet und diesen kontinuierlich verfeinert. Thematisch bestimmt sein Interesse für die Veränderung der italienischen Gesellschaft in Zeiten ökonomischer Prosperität und anschließender Krise sein Schaffen, und vor allem, welche Auswirkungen dies auf die Jugend hat.
Schon sein erster Dokumentarfilm WELCOME BUCAREST, der vom Schicksal eines jungen Italo-Rumänen erzählt, der versucht seinen Platz in einer chaotischen Welt zu finden, beweist die Sensibilität, mit der Giovannesi die Turbulenzen adoleszenter Krisen festzuhalten versteht.
Sein Spielfilm-Debüt scheint auf den ersten Blick den nüchternen Blick einem mehr komödiantischen Zugang zu opfern. Genauer reflektiert, fokussiert er aber mit dem Road-Movie LA CASA SULLE NUVOLE (2009), in dem zwei junge Männer in einem Citroen in Marokko ihren Vater suchen, seine zwei präferierten Themen: Verbundenheit und Identität, die er in Form von Coming-of-Age-Plots präsentiert.
In FIORE situiert er den mühsamen Weg des Erwachsenwerdens einer jungen Delinquentin in einem Gefängnis, das hier zur Bühne für eine ungewöhnliche Liebesgeschichte wird. In diesem Film manifestiert sich zum ersten Mal auch der souveräne Einsatz von Musik: Giovannesi ist seit seinem zweiten Spielfilm ALÌ HA GLI OCCHI AZZURRI auch für die musikalische Untermalung seiner Filme verantwortlich.
Sein bislang letzter Film LA PARANZA DEI BAMBINI (2019) belegt dies mit Nachdruck. Von einem gespenstischen Sound unterlegt, beobachtet er in diesem Film, wie Jugendliche in einem neapolitanischen Stadtviertel das Machtvakuum, das die Camorra hinterlassen hat, zu füllen versuchen. Ohne die Handlungen der Jungen zu beurteilen, wirkt der Film wie ein seismographisches Abbild einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. Um an schnelles Geld zu gelangen, ist diesen Jugendlichen jedes Mittel recht.
Filme Werkschau Claudio Giovannesi
LA CASA SULLE NUVOLE / THE HOUSE IN THE CLOUDS (IT 2009, 98 min, OmeU)
FIORE (IT 2016, 110 min, OmeU) - Österreichpremiere
LA PARANZA DEI BAMBINI / PARANZA - DER CLAN DER KINDER (IT 2019, 110 min, OmdU)
Biografie Claudio Giovannesi
Der Regisseur, Drehbuchautor und Musiker, wurde 1978 in Rom, Italien geboren und drehte bereits mehrere Spiel- und Dokumentarfilme. Bekannt wurde er durch seinen Film FIORE, der 2016 in Cannes im Rahmen der Reihe Quinzaine des Réalisateurs lief und den Spezialpreis des Silbernen Bands, der von der Berufsvereinigung der italienischen Filmjournalisten vergeben wird, sowie sechs Nominierungen für den David di Donatello und den Grand Prix beim Festival Cinéma Méditerranéen in Brüssel erhielt. Für das Fernsehen führte Giovannesi Regie bei zwei Folgen der zweiten Staffel der Serie GOMORRHA, die auf dem Roman von Roberto Saviano beruht. Für PARANZA DEI BAMBINI, für den ebenfalls ein Roman von Saviano die Vorlage lieferte, erhielt er bei der Berlinale 2019 den Silbernen Bären für das beste Drehbuch.
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Zum ersten Mal in seiner über 30-jährigen Geschichte wird das Festival DER NEUE HEIMATFILM auch mit einem Festivaltrailer angekündigt.
Für diesen konnte der aus Grieskirchen, Oberösterreich, stammende Experimentalfilmer Siegfried A. Fruhauf (* 1976) gewonnen werden, der zu den international gefragtesten Filmkünstlern des Landes gehört und der auch in Freistadt bereits mehrmals zu Gast war. Beim Festival präsentierte er 2013 in seiner Ausstellung GLUT Fotografien aus Český Krumlov im Salzhof. 2018 wurde Fruhauf mit dem Österreichischen Kunstpreis in der Sparte Film ausgezeichnet.
Im Trailer verarbeitet Siegfried A. Fruhauf 16mm-Filmaufnahmen von der Sprengung der Hochhäuser am Harter Plateau in Leonding im Jahr 2003. Er lässt die Gebäude gleich mehrmals, aus sicherer Distanz beobachtet, in sich zusammenfallen.
Das Bild rauscht analog, die Trompeten (miss)tönen, von Kitsch und Idylle weit und breit keine Spur. Referenzen an den Heimatfilm tun sich trotzdem in beidem auf. Aber ist das ein Beginn, ein Ende oder der Neuanfang?
Fruhaufs Trailer lässt viel Interpretationsraum offen und regt zur Diskussion an; und wird damit der Idee des Festivals DER NEUE HEIMATFILM mehr als gerecht.
Link zum Festivaltrailer auf Youtube